Günter Brus “Störungszonen” und Lee Miller “Fotografien” im Gropiusbau
Das sind schon Abgründe, die sich da auftun in den beiden Ausstellungen im Gropiusbau, Günter Brus “Störungszonen” und Lee Miller “Photographs”. Auch wenn über 45 Jahre Abstand zwischen den jeweiligen Arbeiten liegen, sind sie gleichermaßen atemberaubend.
1.
Am Eingang der Ausstellung zu Brus steht ein Hinweis, dass einige Eindrücke in der Ausstellung nicht für Jüngere (16 oder 18 Jahre, ich weiß es leider nicht mehr genau) geeignet seien. Das macht die Ausstellung für Erwachsene besonders interessant und erzeugt auch eine Erwartungshaltung. Dieser muss man sich dann auch stellen – auch wenn einem dann doch der Atem stockt.
Es beginnt harmlos mit Zeichnen im Informel und bekommt dann schnell den Dreh zu den Aktionen mit ersten Fotos einer Selbstbemalung. Es sieht aus, als sei der Kopf des Künstlers gespalten. Die Leinwand ist dabei nun der Körper des Künstlers.
Die Aktionen beginnen zusammen mit seiner Frau Anna Brus. Es kommt zu Selbstverletzungen. Die in zwei Räumen projizierten Aufnahmen von Aktionen sind richtig krass. Die Abtrennung der beiden Räume durch Trennwände ist sicherlich notwendig, aber auch eine gute Idee. Wenn man da rein geht, muss man sich auch darauf einlassen. Es ist dabei interessant, auch einen Blick auf andere Besucher zu werfen. Brus kniet mit einem sich selbst zugefügtem Schnitt im Oberschenkel. Er pinkelt (blau) in ein Glas und trinkt seinen Urin. Er schneidet sich selber mit einer Rasierklinge in den Hinterkopf. Das Blut aus der Wunde am Kopf malt in Rot auf seinem Rücken. Eigentlich ist das sehr poetisch, wenn man von den Aspekten der realen Durchführung los kommt.
Brus kommt schon bei einer früheren Aktion in Konflikt mit der Polizei. In seinem Stadtspaziergang geht er angemalt, aber ohne weitere Obszönität durch Wien. Er wird angehalten, auf eine Polizeiwache verbracht und dann offenbar wieder frei gelassen. Es ist ein lächerliches Schauspiel der Obrigkeit. Brus steigert die Provokation in seiner Aktion an der Wiener Universität. Er schmiert sich dort mit Kot ein und onaniert zum Singen der österreichischen Nationalhymne. Er wird dafür tatsächlich zu einer Haftstrafe verurteilt. Zusammen mit seiner Frau kann er nach West-Berlin fliehen.
Udo Kittelmann empfahl den Besuch der Ausstellung mit der Frage ob das heute noch so möglich wäre? Angesichts des peinlichen Agierens der Bundesregierung im Fall der Satire Böhmermanns zu Erdogan eine berechtige Frage.
Spätere Zeichnungen der “Irrwisch” Gruppe und die Zeichnungen über Kardinäle strahlen einen Hauch von Pasolinis Salò aus. Ich fand die späteren Zeichnungen und Bilder nicht mehr so interessant
Kurios ist, dass einige der Videos tatsächlich auf Röhrenfernsehern liefen und nicht auf LCD. Es wäre interessant zu erfahren warum das so ist.
Die Bilder und Videos sind beeindruckend und werden einem sicher im Gedächtnis bleiben.
2.
Eigentlich knüpfen die surrealistischen Arbeiten von Lee Miller daran an. Nicht nur, dass eine Hand explodiert. Es gibt auch ein Foto einer amputierten Brust, die Miller aus einem Krankenhaus “mitgekommen” hat. Diese ist auf einem Teller angerichtet und so fotografiert. Der Begleittext mutmaßt dass es ein Statement zum Frauenbild im Surrealismus sei, lässt aber jeden Beleg dafür vermissen. Visuell anspruchsvoll ist das aber in jedem Fall.
Es gibt aber auch verträglich schöne surrealistische Akte und Aufnahmen ab 1929. Lee Miller ist oft auch Modell dabei. Die Aufnahmen entstehen teilweise zusammen mit ihrem damaligen Lebensgefährten Man Ray.
Nach ihrer ersten Heirat entstehen ab 1934 viele Landschaftsaufnahmen in Ägypten. Angesichts der anderen Teile der Ausstellung sind sie unspektakulärsten Fotografien. Ab 1940 finden in London eigentümlich verstörende Modeaufnahmen für die Zeitschrift Vogue statt. Schöne Models stehen in schönen Kleidern vor Häuserruinen die durch Bombeneinschläge.
Im April 45 fotografiert Miller die Resultate des Nationalsozialismus. Der Vizebürgermeister von Leipzig bringt sich samt Familie um. Miller fotografiert die Leichen. In den KZs Buchenwald und Dachau entstehen beeindruckende Aufnahmen. Aus meiner Sicht sind die Bilder aber inhaltsleer weil es sich bei Aufnahmen überlebender Insassen in ihren Pritschen um nicht interpretierbare Bilder handelt. Über sie kann nicht diskutiert werden, sie sind der Boden der Realitätsbeschreibung. Man kann kaum über diese Aufnahmen sprechen weil ihre Realität das kaum zulässt. Insofern sind sie dann wiederum großartig, aber rein dokumentarisch und nicht künstlerisch.
Beachtenswert ist auch die Inszenierung in Hitlers Wohnung in München. Tatsächlich ist Lee Miller und ein Kollege dort eingezogen. Sie posieren in der Wohnung im Badezimmer. Ja, sie sitzen tatsächlich nackt in der gefüllten Badewanne Hitlers. Lee Miller entspannt auf dem Bett von Eva Braun. Was für wuchtige Bilder.
Nach Kriegsende gibt Miller die Fotografie auf. Eine wunderschöne Ausstellung.
3.
Ich fotografiere in Ausstellungen gerne die jeweiligen Texte als Gedächtnisstütze mit dem Smartphone. Ich wurde nach einiger Zeit von einem Mitarbeiter auf das im ganzen Gebäude geltende Fotografieverbot aufmerksam gemacht. Die Begründung durch Urheberrechtsproblematiken ist berechtigt, weil vor Ort nicht erkennbar ist ob Aufnahmen nur für privaten Gebrauch gemacht werden.
Bezüglich der Erklärungstexte der Ausstellung wäre dann aber zu fordern, diese unter eine passende Lizenz (z.B. CC BY-NC-ND 4.0) zu stellen und im Netz zu veröffentlichen. Ich plädiere schon länger für digitale “Verlängerungen” von Ausstellungen und Messen, also für das einfache, netzbasierte Nachschlagen von weiterführenden Informationen.
Ich kann keine Vermarktungsmöglichkeit für Beschriftungen von Ausstellungsteilen erkennen, daher wäre eine digitale Veröffentlichung auch kein Verzicht auf Einnahmen. Wenn wir schon dabei sind, stellt sich auch die Frage, warum es kein Verzeichnis ausgestellter Arbeiten online in einem standardisierten Format gibt.